Männer und Bratwurst

Bei ihrem Anti-Heimatabend präsentieren Thomas Ebermann und Thorsten Mense die ganze Bandbreite des Grauens.

Vor dem Spartakus in Potsdam stehen an diesem Abend auffällig viele Großstädter*innen aus dem benachbarten Berlin. Denn nicht dort, sondern auf dem alternativem Veranstaltungsgelände in der brandenburgischen Landeshauptstadt findet die Premiere von »Heimat – eine Besichtigung des Grauens« von und mit Thomas Ebermann und Thorsten Mense statt. Drinnen ist es dunkel – wie man es bei einer Besichtigung des Grauens erwartet. Musikschnipsel laufen. Schlimme Musik, Ballermann, Après Ski, solche Sachen. Eine gute Einstimmung, um allein schon das Wort »Heimat« gruselig zu finden. In den nächsten drei Stunden paart sich dieses Gefühl mit dem ständig wiederkehrenden Satz in meinem Gehirn: »Kannste dir nicht ausdenken.«

Apropos Gefühl, zentraler Satz des Abends: »Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl«. Und dass dies so ist, zeigen Ebermann und Mense anhand von diversen Fundstücken. Werbefilmchen für jeden möglichen und unmöglichen Scheiß, Konzertmitschnitte – von Thees Uhlmann bis Andreas Gabalier -, Wahlplakate aller Parteien – inklusive der Grünen und Linken -, Fotos vom Deutschen Bratwurstmuseum in Holzhausen mit einer riesigen begehbaren Wurst, Neuschwanstein, röhrende Hirsche, Wiesen, Felder, alles, was dazu gehört. Ja, es ist eine Sammlung von Kuriositäten und Absurditäten, und Ebermann und Mense schaffen etwas, was nur wenige bei mir auszulösen vermögen: Ich lache unvermittelt laut los.

»Dieses verfluchte Abholen-wollen!«

Gleichzeitig ist das, was an diesem Abend präsentiert wird, alles andere als lustig. Denn es ist die Realität. Heimat, so Ebermann in einem Interview mit dem neuen deutschland, ist das Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung. Die »Rückbesinnung auf Heimat« durchzieht alle gesellschaftlichen Kreise. Linke und Linksliberale erinnern sich an Heimat, um die Menschen abzuholen. (Ebermann: »Dieses verfluchte Abholen-wollen!«)

Überhaupt steht die Kritik an den Heimatauffassungen verschiedener Linker im Fokus des Anti-Heimatabends. Und das ist auch der interessanteste Teil der Sammlung. Denn dass Konservative und andere Rechte ihre Heimat oder das, was sie sich da zusammenkonstruieren, lieben, ist keine keine besonders große Überraschung – auch wenn man wirklich gut darüber schmunzeln oder wahlweise den Kopf schütteln kann. Aber es sind eben die linken Heimatbezüge, die den wichtigsten Teil der Veranstaltung ausmachen. Denn nur vor dieser Folie wird einem bewusst, wie schlimm und reaktionär auch der linke Heimatbezug ist. »Kein Begriff liegt näher an Volksgemeinschaft wie Heimat«, so Ebermann. Wenn das stimmt, wie können wir als Linke überhaupt auf den Gedanken kommen, man könne Heimat links ummodeln?

Ebermann und Mense waren enorm fleißig. Trotzdem ist es streckenweise doch ein wenig viel des Namedroppings – und so läuft man an diesem Abend immer mal wieder Gefahr, bei dem Höllenritt durch die linke Literaturlandschaft gedanklich auszusteigen. Wer dann den ein oder anderen Autorennamen nicht mitbekommt, könnte denken, es handele sich nicht um Linke, sondern einfach um absurde Zitationen aus Büchern von Heimatverliebten. Zum Glück schaffen es Ebermann und Mense aber, auch die Ausgestiegenen regelmäßig zurückzuholen. Obgleich ein roter Faden erkennbar ist, gestalten sie ihre Betrachtung des Grauens doch mosaikhaft, springen immer wieder zu neuen Aspekten und sorgen damit für wohltuende Abwechslung.

In einer Hinsicht gibt es jedoch kaum Abwechslung – es ist nicht nur ein (Anti-)Heimatabend, sondern auch in weiten Teilen ein Männerabend. Nicht nur, dass die Macher selbst Männer sind, auch die Zitate kommen zum größten Teil aus Männerhirnen. Ebermann und Mense versuchen, dies dadurch aufzufangen, dass sie einige Männer durch Frauen zitieren lassen. Der erste Nicht-Mann taucht an diesem Abend allerdings erst nach 45 Minuten auf. Ist natürlich nicht ganz unpassend – transportiert »Heimat« doch in weiten Teilen ein stark patriarchales Weltbild.

Hate your Heimat

Heimat – was ist das überhaupt? Warum beziehen sich so viele Menschen positiv darauf? Warum gibt es diesen Begriff, dieses »Gefühl« nur in der deutschen Sprache? Dieser Abend bringt das Gehirn in Bewegung. Denn durch die vielen Impressionen und vor allem auch durch die Ausflüge in die Linke entsteht quasi automatisch die Frage: Hab ich das auch? Wenn ich mich freue, den Hamburger Hafen zu sehen – ist das ein Heimatgefühl? In welchem Verhältnis stehen Nostalgie, Sozialisation und Erinnerung zu diesem Begriff? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen »Heimat« und sich irgendwo zuhause fühlen?

Klar, auch mir wird übel, wenn jemand sagt: »Man wird sich ja wohl nochmal irgendwo wohlfühlen dürfen.« Bedeutet dies doch nur zu oft, sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen häuslich einzurichten. Trotzdem brauchen wir alle dann und wann einen Rückzugsort – wo auch immer der ist und wie auch immer der aussehen mag. Ist das dann auch schon Heimat, weil es sich »gut anfühlt«? Wie oft habe ich in der Kneipe den Song von LAK gehört und nie dabei an »Heimat« gedacht: »Das ist mehr als Fußball, mehr als der Sport und die 90 Minuten, die viel zu schnell vergehen. Das ist mein Leben, Baby, und egal, was auch passiert: Ich hab St. Pauli in meinem Herzen tätowiert!«

Im besagten nd-Interview sagt Ebermann: »Ich bin nicht zuständig für den Verbesserungsvorschlag.« Den bekommt man in der Tat an ihrem Anti-Heimatabend nicht. Macht auch nichts. Soll doch jede und jeder selber darüber nachdenken, was man mit dem Präsentierten nun anstellt. Gesprächsstoff für ein bis fünf Bier ist auf jeden Fall inklusive. Übrigens, mein Held des Abends: Klaus Theweleit. Warum? Selbst herausfinden!

Von Maike Zimmermann, veröffentlicht in analyse & kritik Nr. 648 vom 16.04.2019